2020-06-20 22:54:24
2020-06-20 22:54:23
2020-06-20 22:54:23
557480
Adbusting: Mit Geheimdienst, Polizei und Terrorabwehrzentrum gegen ein paar veränderte Plakate
Falsche Werbung von Coca-Cola gegen die AfD. Alle Rechte vorbehalten Matthias Borowski / Twitter
Adbusting ist eine Form politischer Kunst. Sie gestaltet Werbung um, hängt falsche Plakate auf oder nutzt Werbeplätze für eigene, oftmals satirische Kampagnen. Die Aktionen richten sich gegen Unternehmen, gegen Parteien oder auch gegen Institutionen des Staates wie Polizei, Geheimdienste und Bundeswehr. Nichts, was irgendwie politisch ist, kann vor Adbusting sicher sein.
Adbusting ist eine Intervention im öffentlichen Raum, die sich meist in sozialen Medien fortsetzt und dort größere Sichtbarkeit erlangt. Die rechtlichen Vergehen beim Adbusting liegen im Bereich der Sachbeschädigung oder im Diebstahl, wobei sich die Delikte meist im Bagatellbereich bewegen.Rigides Vorgehen gegen Adbusting
Seit einigen Jahren gehen Behörden in Deutschland allerdings „(un)verhältnismäßig rigide“ gegen Adbusting vor, wie Andreas Fischer-Lescano und Andreas Gutmann in einem Beitrag im Verfassungsblog schreiben. So ordnete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seinem Jahresbericht 2018 eine Adbusting-Aktion gar dem Bereich des „gewaltorientierten Linksextremismus“ zu.
In einer Kleinen Anfrage zum Thema antwortete die Bundesregierung:Die Aktionsform des „Adbusting“ ist im Teil „Gewaltorientierter Linksextremismus“ angesiedelt, um den thematischen Zusammenhang zwischen „Adbusting“ als strafbare Aktionsform zur Diskreditierung der Vertreter des Staates durch Linksextremisten und gewaltsamen Aktionsformen zu wahren.Das heißt konkret: Der Staat, hier sein Inlandsgeheimdienst, sieht polizeikritisches Adbusting als Vorstufe zur Gewalt gegen Polizist:innen. Mit dieser Begründung könnte alle Staatskritik, welche die Bundesregierung für „verallgemeinernd und über eine sachliche Kritik deutlich hinausgehend“ hält, dazu führen, im Verfassungsschutzbericht genannt zu werden.Terrorabwehr gegen Plakate
Die politische Kunstform hat es sogar bis ins Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) geschafft. Dort waren in den Jahren 2018 und 2019 tatsächlich vier Sachverhalte mit diesem Thema auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung wollte auf eine weitere Kleine Anfrage hin nicht beantworten, warum Adbusting im GTAZ besprochen wurde – und begründete die Ablehnung damit, dass durch die Beantwortung ein Nachteil für die Bundesrepublik Deutschland entstehen könne.
Bei einer parlamentarischen Anfrage im Land Berlin kam jetzt jedoch heraus, dass der Berliner Verfassungsschutz für drei Meldungen beim Terrorismusabwehrzentrum zuständig war. Die Berliner Polizei übermittelte Daten darüber hinaus Daten mit Adbusting-Bezug an das Bundeskriminalamt.
Die Kampagne des Peng-Kollektivs übernahm Design und Website-Name einer Rekrutierungskampagne. Alle Rechte vorbehalten Peng! Collective„Satire jagen, während Nazis ihr Unwesen treiben“
Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Geheimdienst der Bundeswehr, beschäftigte sich zwischen 2015 und 2019 insgesamt 13 Mal mit Veränderungen von Bundeswehrplakaten. Ein Fall davon betraf das Peng-Kollektiv, das eine Bundeswehr-Werbung parodierte.
Peng hatte Plakatwerbung der Bundeswehr mit einer eigenen Internetadresse überklebt und auf dieser Website, die der Rekrutierungswerbung sehr ähnlich sah, die Bundeswehr kritisiert. Jean Peters von Peng kritisiert gegenüber netzpolitik.org die Erfassung:Wenn der militärische Geheimdienst dieses Landes Satire jagt, während Nazis in der KSK-Elitetruppe der Bundeswehr ihr Unwesen treiben und privat Waffen horten, dann hat der Chef dieser Behörde Christof Gramm seinen Laden nicht unter Kontrolle, ja sogar den inneren Kompass verloren.Nationalistischer Rattenfänger Höcke. Alle Rechte vorbehalten Dies Irae
Der Übereifer der Behörden zeigte sich auch in Thüringen gegen das Adbuster-Kollektiv „Dies Irae“. Hier fing die Polizei, nachdem Plakate gegen den AfD-Politiker Björn Höcke in Erfurt auftauchten, selbst an wegen Beleidigung zu ermitteln. Die Behörde trat dann an den Rechtsradikalen heran, damit dieser doch bitte einen Strafantrag stelle, berichtet das Verfassungsblog.
Später nahm die Polizei gar DNA-Proben an den Plakaten und von einem Angestellten des Außenwerbeunternehmens, wie aus der Antwort der Thüringischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage hervorgeht.Vehikel „Schwerer Diebstahl“
In einem anderen Fall arbeiteten Polizist:innen aus Hamburg und Berlin unter großem Aufwand zusammen, um einen Adbuster zu finden. Beschuldigt wird dieser, fünf Werbekästen in Berlin mit Plakaten bestückt zu haben. Für die Ermittlungsbehörden Sachbeschädigung und Schwerer Diebstahl, sie ermittelten aus öffentlichem Interesse – obwohl in keinem der Fälle das betroffene Außenwerbeunternehmen eine Anzeige erstattet hatte. Am Ende gab es Hausdurchsuchungen und ein Gerichtsverfahren. Der Betroffene willigte in eine Einstellung gegen Auflagen ein und musste 1.200 Euro zahlen oder 120 Sozialstunden leisten. Für dieses Verfahren wurde ein beispielloser Aufwand getrieben, vier Jahre liefen die Ermittlungen, alleine beim Landeskriminalamt Berlin waren drei Beamte damit befasst.
Manchmal reicht es, ein paar Worte zu überkleben. Links das veränderte Plakat, rechts das Original der Berliner Polizei. Alle Rechte vorbehalten maqui.blogsport.eu / Polizei Berlin„Inhalt der Adbustings befeuert Ermittlungseifer“
Die Juristen Lescano und Gutmann sehen einen Zusammenhang zwischen den Themen des Adbustings und der Reaktion des Staates. Vor dem Hintergrund des normalerweise geringen Sachschadens durch Adbusting entstehe der Verdacht, dass der Ermittlungseifer vom Inhalt der Adbustings befeuert würde – gerade wenn diese sich kritisch mit Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr auseinandersetzten.
Das sieht auch ein Sprecher der Soligruppe plakativ, der sich Klaus Poster nennt, ähnlich. An den Überreaktionen der Behörden könne man sehen, wie diese intern tickten. Sie sähen Adbustings nicht als Teil des demokratischen Diskurses, sondern nehmen die Aktionen als Angriff wahr. Das führe zu dieser Form der Willkür, würde aber auch peinlich für die Behörden: „Beim Vorgehen gegen veränderte Werbeposter steigert es die Lächerlichkeit auf ein Niveau, das die Kommunikationsguerilla allein nie hinbekommen hätte“, so Poster gegenüber netzpolitik.org.
Lescano und Gutmann weisen auch darauf hin, dass die intensive Verfolgung von Adbusting den Schutz der Meinungsfreiheit ins Gegenteil verkehre:Ein Verhalten, das in den Schutzbereich spezieller Freiheitsrechte – hier das Art. 5 GG – fällt, wird stärker eingeschränkt als eine vergleichbare Handlung ohne entsprechenden Meinungsbezug.Dabei sei das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte durch Artikel 5 des Grundgesetzes grundsätzlich untersagt. „Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt“, so Lescano und Gutmann weiter.
Mit falschen Plakaten kritisierten Adbuster die Flüchtlingspolitik der SPD. Alle Rechte vorbehalten Rocco and his Brothers / ScreenshotSchrille Töne statt Gelassenheit
Aber nicht nur die Sicherheitsbehörden sollten in Sachen Aktionskunst abrüsten, sondern auch die Betroffenen von unerwünschten Kommunikationsmaßnahmen.
Allgemeine Raserei Alle Rechte vorbehalten Klaus Staeck
Als die SPD mittels Adbusting für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert wurde, beklagte deren Verband in Essen eine „Verleumdungskampagne“ und „hohe kriminelle Energie“, die den „demokratischen Diskurs“ beschädige. Man habe Strafanzeige erstattet und sei im „ständigen Austausch“ mit der Polizei. Darunter geht es bei der SPD wohl nicht, wenn ein paar Plakate ausgetauscht werden.
Dabei ist die Nutzung von echten Logos zum Sichtbarmachen von Missständen wirklich kein neues Stilmittel, wie die Gruppe „Dies Irae“ anmerkt. Klaus Staeck, einer der bekanntesten Plakatkünstler Deutschlands, ein Unterstützer der Sozialdemokratie, hat sich dieses Mittels schon vor Jahrzehnten bedient.
Kriminalisierung von Adbusting ist nicht nur ein deutsches Phänomen. In Polen wurden jüngst zwei Menschen festgenommen, weil sie eine Buswerbung in Warschau mit einem eigenen Plakat veränderten. Die Polizei wirft den Aktivst:innen „Diebstahl“ und „Einbruchdiebstahl“ vor. Auf diese Vergehen stehen zwischen ein und zehn Jahren Gefängnis.
Mittlerweile hat sich Amnesty International eingeschaltet. In einer Urgent Action kann jede:r die beiden Betroffenen unterstützen – und einen Brief an den polnischen Innenminister schreiben.
Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.
https://netzpolitik.org/2020/mit-geheimdienst-polizei-und-terrorabwehrzentrum-gegen-ein-paar-veraenderte-plakate/
This website uses cookies to recognize revisiting and logged in users. You accept the usage of these cookies by continue browsing this website.